Zertifizierungen wie ISO 27001 oder TISAX® gelten als Goldstandard in der Informationssicherheit. Sie bieten Unternehmen ein Rahmenwerk für das Management ihres Informationssicherheitsmanagementsystems (ISMS) und versichern Stakeholdern ihr Engagement für Sicherheit. So weit, so gut. Die Frage ist jedoch: Macht Compliance ein Unternehmen auch sicher?
Wahre Sicherheit erfordert einen umfassenderen und dynamischeren Ansatz, der über die Grenzen von Zertifizierungsstandards hinausgeht. Zertifizierungen sind zwar ein guter Anfang, sollten aber nicht als das ultimative Ziel betrachtet werden. Um Informationswerte wirklich zu schützen und langfristigen Erfolg zu sichern, müssen Unternehmen über Zertifizierungen hinausgehen. Hier ist der Grund.
Eine Zertifizierung ist eine Momentaufnahme
Zertifizierungen sind eine Momentaufnahme der Sicherheitslage Ihres Unternehmens zu einem bestimmten Zeitpunkt. Niemand weiß, wo Sie in einem Jahr oder auch nur in zwei Monaten stehen werden. Sie könnten ein neues Produkt auf den Markt bringen, einen neuen Markt erschließen oder eine neue Technologie implementieren, die Sie neuen Bedrohungen aussetzt.
Die Zertifizierung ist daher ein wichtiger Schritt, aber erst der Anfang. Cybersicherheit ist dynamisch, und eine Zertifizierung kann nicht garantieren, dass die Standards ohne ständige Bemühungen und Wachsamkeit aufrechterhalten werden.
Minimale Compliance oder das Problem der Nachlässigkeit
Bei der Zertifizierung geht es oft darum, die Mindestanforderungen der Norm zu erfüllen. Dieser Ansatz kann zu Nachlässigkeit führen, wenn Organisationen gerade genug tun, um zertifiziert zu werden, aber keine kontinuierliche Verbesserung anstreben. Das ist gefährlich, da es ein trügerisches Sicherheitsgefühl erzeugen kann.
Zertifizierungen können zwar dazu beitragen, neue Aufträge zu gewinnen, aber die eigentliche Stärkung Ihres ISMS erreichen Sie durch die Aufrechterhaltung und Verbesserung Ihrer Informationssicherheitsmaßnahmen.
Fehlende Reifegradbewertung
Zertifizierungen wie ISO 27001 enthalten in der Regel keine Reifegrademodelle in ihren Rahmenwerken. Das macht es schwierig, den Reifegrad des ISMS Ihres Unternehmens sowohl intern als auch extern effektiv zu bewerten und zu kommunizieren.
Um den Reifegrad der Informationssicherheit zu verbessern, setzen Sie messbare Ziele, z. B. die jährliche Erhöhung des Anteils der Mitarbeiter, die in bestimmten Sicherheitsthemen geschult sind. Beginnen Sie beispielsweise im ersten Jahr mit 60 % Schulungen und streben Sie im folgenden Jahr 70-80 % an. Aktualisieren Sie die Schulungen dann regelmäßig, um die neuesten Bedrohungen abzudecken.
Cyberkriminalität nimmt zu
Fernarbeit, Cyberkriminalität und geopolitische Unsicherheiten verschärfen die Informationsrisiken von heute. Aufgrund dieser neuen Realität ist Ihr Unternehmen möglicherweise anfälliger für Bedrohungen, insbesondere wenn eine Zertifizierung nur als formale Abhaken von Anforderungen betrachtet wird.
Mehr und unterschiedlichere Bedrohungen
Cyber-Bedrohungen ändern sich ständig. Täglich entstehen neue Schwachstellen, Angriffsvektoren und komplexe Cyberangriffe, insbesondere durch künstliche Intelligenz. Sich ausschließlich auf Zertifizierungen zu verlassen, kann ein falsches Sicherheitsgefühl erzeugen, da diese Standards möglicherweise nicht immer mit den neuesten Entwicklungen Schritt halten. Um immer einen Schritt voraus zu sein, sollten Sie proaktiv vorgehen und Ihre Sicherheitsmaßnahmen kontinuierlich aktualisieren, um Ihre Daten zu schützen.
Echtzeit-Reaktion auf Bedrohungen
Zertifizierungen konzentrieren sich oft darauf, die richtigen Kontrollen und Verfahren zu implementieren, aber sie adressieren nicht immer die Notwendigkeit einer Echtzeit-Reaktion auf Bedrohungen. Effektive Informationssicherheit umfasst die Überwachung, Erkennung und Abwehr von Bedrohungen in Echtzeit.
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Echte Sicherheit bedeutet, bereit zu sein, Bedrohungen zu erkennen und zu bewältigen, sobald sie auftreten. Nutzen Sie die kontinuierliche Überwachung, um einen klaren Plan für eine schnelle Reaktion zu haben. Regelmäßige Aktualisierungen und Tests stellen sicher, dass Ihr Cyber-Reaktionsplan auch gegen neue Bedrohungen funktioniert.
Besseres Risikomanagement und höhere Belastbarkeit
Gute Informationssicherheit basiert auf solidem Risikomanagement. Eine ISO 27001-Zertifizierung bedeutet nicht automatisch, dass Ihr Risikomanagement optimal ist.
Für ein effektives Risikomanagement müssen Sie Ihre Sicherheitsstrategie an Ihren Unternehmenszielen ausrichten und wissen, was Sie mit Zertifizierungen wie ISO 27001 erreichen wollen. Dies hilft Ihnen auch, die Unterstützung des Managements zu gewinnen.
Identifizieren Sie kritische Assets
Machen Sie sich klar, welche Assets für den Betrieb und die Umsatzgenerierung Ihres Unternehmens entscheidend sind. Dazu gehören Daten, Systeme und Mitarbeiter. Dokumentieren Sie die Risiken für diese Werte und weisen Sie Risikoverantwortliche zu. Arbeiten Sie gemeinsam daran, alle potenziellen Risiken abzudecken, insbesondere solche, die den Betrieb lahm legen und die Umsatzströme beeinträchtigen könnten.
Bewerten Sie Risiken kontinuierlich
Risikobewertungen sollten keine einmaligen Ereignisse sein, sondern kontinuierliche Prozesse, die sich an neue Bedrohungen und Veränderungen im Umfeld Ihres Unternehmens anpassen.
Führen Sie umfassende Maßnahmen ein
Gehen Sie über die für die Zertifizierung erforderlichen Basis-Maßnahmen hinaus und implementieren Sie zusätzliche Maßnahmen, die auf Ihre spezifischen Risiken und Ihren betrieblichen Kontext zugeschnitten sind.
Bauen Sie organisatorische Widerstandsfähigkeit auf
Resilienz bedeutet, sich auf Vorfälle vorzubereiten und darauf zu reagieren. Dazu gehören Business-Continuity- und Disaster-Recovery-Pläne, die Durchführung regelmäßiger Übungen und die Sicherstellung, dass kritische Prozesse Störungen überstehen und sich schnell davon erholen können.
Schaffen einer sicherheitsbewussten Unternehmenskultur
Eine Zertifizierung mag zwar belegen, dass Ihr Unternehmen über bestimmte Protokolle verfügt, aber sie bedeutet nicht zwangsläufig, dass Sicherheit fest in der Kultur verankert ist. Eine sicherheitsbewusste Kultur bedeutet, dass jeder Mitarbeiter die Bedeutung der Sicherheit und seine Rolle bei deren Aufrechterhaltung versteht.
Nehmen wir als Beispiel die Multi-Faktor-Authentifizierung (MFA). Sie können zwar MFA implementieren, diese aber nicht richtig durchsetzen, was zu Sicherheitslücken führt. Um dies zu vermeiden, sollten Sie Sicherheitsmaßnahmen nachvollziehbar machen und sicherstellen, dass jeder deren Wichtigkeit versteht. Erklären Sie, wie MFA sowohl persönliche als auch Unternehmensdaten schützt. Jeder, vom IT-Team bis zum Endanwender, sollte wissen, wie man MFA korrekt einrichtet und verwendet und dies auch gerne tun.
Schulung und Sensibilisierung
Passen Sie Sicherheitsschulungen an die verschiedenen Rollen in Ihrem Unternehmen an und aktualisieren Sie sie regelmäßig, um neuen Bedrohungen zu begegnen. Genauso wichtig ist es, dass Ihre Mitarbeiter verstehen, wie sie Sicherheitsverfahren befolgen und warum diese wichtig sind.
Engagement und Kommunikation
Regelmäßige Kommunikation über Sicherheitsrisiken, Updates und Best Practices trägt dazu bei, dass Sicherheit für alle Mitarbeiter im Vordergrund steht. Sie können sich an einer sogenannten "Trommelfeuerkommunikation" orientieren: Nutzen Sie Ihre interne Plattform, um wöchentlich oder monatlich kurze Tipps und Hinweise zu teilen, damit alle informiert und engagiert bleiben.
Führungskräfte einbinden
Die Geschäftsleitung muss sich sichtbar für die Sicherheit einsetzen. Ihr Engagement kann eine Kultur fördern, in der Sicherheit als Geschäftsförderer und nicht als lästige Pflicht betrachtet wird. Die Führungsebene sollte Sicherheit in die gesamte Geschäftsstrategie integrieren und damit deren Bedeutung für den Erfolg Ihres Unternehmens unterstreichen.
Vertrauen stärken und mehr Kunden gewinnen
Ein stärkerer Fokus auf Informationssicherheitsmaßnahmen kann zum Wettbewerbsvorteil Ihres Unternehmens werden. Proaktive und stabile Sicherheitsverfahren schaffen Vertrauen bei Kunden, Partnern und Investoren und verschaffen Ihnen damit einen Wettbewerbsvorsprung.
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Kunden und Partner arbeiten bevorzugt mit Unternehmen zusammen, die ein starkes Engagement für Sicherheit zeigen. Indem Sie über die grundlegenden Anforderungen von Zertifizierungen hinausgehen, können Sie sich einen Ruf für Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit aufbauen.
Keine Branche und kein Unternehmen gleicht dem anderen
Nehmen wir zum Beispiel ISO 27001: Dieser Standard unterscheidet nicht nach Branchen. Doch jedes Unternehmen und jedes Geschäftsmodell ist mit unterschiedlichen Informationssicherheitsrisiken konfrontiert. Um Ihr Unternehmen optimal zu schützen, benötigen Sie ein tiefes Verständnis Ihres individuellen Unternehmenskontexts. Die Zertifizierung bildet zwar eine gute Grundlage, Sie müssen jedoch die für Ihr Geschäftsmodell besonders relevanten Risiken verstehen, um angemessene Maßnahmen zu ergreifen.
Für Unternehmen in der Fertigung
Für Produktionsunternehmen steht die Verfügbarkeit an oberster Stelle. Betriebstechnische (OT-) Systeme werden häufig von Malware angegriffen, die die Produktion stören soll. Beim Zusammenführen von OT- und IT-Systemen geht der "Air Gap" verloren, was die Anfälligkeit erhöht.
Um dieses Risiko zu mindern, benötigen Sie Maßnahmen zur Gewährleistung der Verfügbarkeit: Netzwerksegmentierung zur Isolierung sensibler Bereiche, Echtzeitüberwachung zur Erkennung von Bedrohungen im Entstehen, Patchmanagement, um sicherzustellen, dass alle Systeme auf dem neuesten Stand sind, sowie Intrusion-Detection-Systeme (IDS) zur Identifizierung und Reaktion auf verdächtige Aktivitäten.
Für Tech-Unternehmen
Tech-Unternehmen unterscheiden sich in Größe, Schwerpunkt und Technologie erheblich, sodass auch ihre Informationssicherheitsanforderungen sehr unterschiedlich sind. Ein SaaS-Unternehmen wird sich in erster Linie um Ausfallzeiten kümmern. Medizintechnikunternehmen (MedTechs) hingegen arbeiten mit hochsensiblen Daten, während eine Datenschutzverletzung den Ruf eines FinTech-Unternehmens stark schädigen kann. Da Tech-Unternehmen riesige Mengen an Kundendaten und firmeneigenen Informationen verarbeiten, stehen für sie die Vertraulichkeit und Integrität der Daten im Vordergrund.
Für professionelle Dienstleister
Professionelle Dienstleister verwalten sensible Kundendaten, sodass die Vertraulichkeit oberste Priorität hat. Robuste Anwendungssicherheitsmaßnahmen wie Web Application Firewalls und Endpoint Detection and Response Systeme helfen hier bei der Erkennung und Abwehr böswilliger Aktivitäten.
Woran erkennen Sie, dass Sie nicht nur compliant, sondern auch sicher sind?
Nehmen wir an, fünf Unternehmen, darunter Ihr eigenes, haben die ISO 27001-Zertifizierung erhalten. Was unterscheidet die wirklich sicheren Unternehmen von den anderen? Es ist ihr Engagement, ihre größten Risiken zu identifizieren und zu verwalten. Die Zertifizierung bietet zwar eine gute Grundlage, deckt aber nicht alles ab.
Aktualisieren Sie Ihre Sicherheitsziele regelmäßig auf Basis der größten Risiken Ihres Unternehmens. Stellen Sie sicher, dass sich Ihr Team, Ihre Prozesse und Ihre Technologie weiterentwickeln, um diese Bedrohungen abzuwehren. Vermeiden Sie Nachlässigkeit, indem Sie Sicherheit als kontinuierlichen Prozess betrachten, nicht als einmaliges Projekt.
Der Weg zu Compliance und Sicherheit
Unternehmen, die nur auf die Einhaltung der Compliance achten, werden wahrscheinlich Schwierigkeiten haben, eine solide Sicherheitsposition aufrechtzuerhalten.
Bei Compliance geht es darum, die Mindestanforderungen von Gesetzen und Vorschriften zu erfüllen. Sicherheit hingegen zielt auf Risikomanagement durch die Implementierung relevanter Maßnahmen ab. Vereinen Sie beides – und Sie sind wesentlich besser für alle Eventualitäten gerüstet.
Bauen Sie Ihr ISMS so auf, dass es sowohl den Anforderungen von Zertifizierungen wie ISO 27001 entspricht als auch die Informationen Ihres Unternehmens schützt. Wir zeigen Ihnen, wie das geht:
Häufig gestellte Fragen (FAQs)
Was ist der entscheidende Unterschied zwischen Compliance und Sicherheit?
Der springende Punkt liegt darin, dass Compliance sich auf die Erfüllung bestimmter gesetzlicher und Zertifizierungsanforderungen bezieht, während Sicherheit ein umfassenderes, kontinuierliches Bestreben ist, Informationswerte vor Bedrohungen zu schützen. Compliance kann eine statische Checkliste sein, Sicherheit erfordert jedoch dynamische, kontinuierliche Verbesserung und Anpassung an neue Herausforderungen und Schwachstellen.
Warum benötigen Unternehmen eine ISO 27001-Zertifizierung?
Organisationen benötigen die ISO 27001-Zertifizierung, um einen anerkannten Rahmen für das Management der Informationssicherheit zu etablieren. Diese Zertifizierung hilft dabei, ihr Engagement für den Schutz sensibler Daten, die Erfüllung gesetzlicher und regulatorischer Anforderungen sowie den Vertrauensaufbau bei Kunden, Partnern und Stakeholdern zu demonstrieren, indem sie zeigt, dass sie sich an internationalen Best Practices im Informationssicherheitsmanagement orientieren.
Was soll ISO 27001 sicherstellen?
ISO 27001 soll sicherstellen, dass Unternehmen einen systematischen Ansatz für die Verwaltung sensibler Unternehmens- und Kundendaten haben. Die Norm bietet eine Reihe von Standards für die Einrichtung, Implementierung, Pflege und kontinuierliche Verbesserung eines Informationssicherheitsmanagementsystems (ISMS) mit dem Ziel, die Vertraulichkeit, Integrität und Verfügbarkeit von Daten zu schützen.
Warum reicht ISO 27001 nicht aus?
ISO 27001 reicht nicht aus, weil es sich um eine Momentaufnahme des Sicherheitsstatus eines Unternehmens zu einem bestimmten Zeitpunkt handelt und sich in erster Linie auf Compliance konzentriert. Echte Sicherheit erfordert kontinuierliche Anstrengungen, ständige Verbesserung und Anpassung an sich entwickelnde Bedrohungen, die über die Anforderungen der Zertifizierung hinausgehen, die Bewältigung von Echtzeitrisiken und die Förderung einer proaktiven Sicherheitskultur.